Der Steinschmätzer (Oenanthe oenanthe)


Steinschmätzer-Männchen, 20.05.2020, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschmätzer-Männchen, 20.05.2020, Flugfeld Staaken/Berlin.

Im Frühsommer 2015 habe ich sie entdeckt. Die Steinschmätzer. Das heißt, als der erste Steinschmätzer - ein Männchen im Prachtkleid - ein paar Meter vor mir auf einem Zaunpfahl saß und fürchterlich schimpfte, wusste ich gar nicht, was das für ein Vogel ist. Erst zu Hause beim Blick in den Kosmos-Vogelführer ging mir ein Licht auf. Anfangs konnte ich es kaum glauben, doch die Fotos zeigten zweifelsfrei einen männlichen Steinschmätzer. Wow. Das nennt man Glück! Steinschmätzer gehören nämlich zu den ausgesprochen seltenen Vögeln. Genauer gesagt werden sie in der Roten Liste Deutschlands als "vom Aussterben bedroht" geführt. Seither treibt es mich regelmäßig in dieses Gebiet, zwar nicht nur wegen der Steinschmätzer, aber um die geht es ja jetzt. Steinschmätzer sind 15 bis 16 cm groß. Das Weibchen wirkt etwas rundlicher als das Männchen. Beide tragen während der Balz- und Brutzeit ein Prachtkleid. Das des Männchens ist sehr kontrastreich: Ein schwarzer Rücken mit einem blaugrauen Mittelteil, eine tiefschwarze Augenumrandung und eine helle Brust lassen ihn regelrecht erstrahlen. Das Weibchen wirkt insgesamt unscheinbarer, nicht so kontrastreich mit graubrauner Oberseite und bräunlich-beiger Brust.

Steinschmätzer-Weibchen, 13.06.2016, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschmätzer-Weibchen, 13.06.2016, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschmätzer-Pärchen (vorn Männchen, hinten Weibchen), 21.05.2016, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Steinschmätzer-Pärchen (vorn Männchen, hinten Weibchen), 21.05.2016, Flugfeld Staaken/Brandenburg.

In einem Steinschmätzer-Revier spielen erhöhte Plätze grundsätzlich eine besondere Rolle. Dabei kann es sich um Bäume oder Sträucher, den höchsten Stein auf einem Schuttberg, eine Metallstange oder einen hohen Sandhügel oder Stängel handeln. Während der Balz dienen diese Plätze vor allem den Männchen zum Zurschaustellen und Singen. Denn auf der Suche nach einem Weibchen singen die Männchen ein recht wohl klingendes Lied, steigen zwischendurch singend in die Luft auf, um sich dann wieder auf der Sitzwarte niederzulassen. Zusammen mit dem schicken Federkleid macht das wirklich was her.

Singendes Steinschmätzer-Männchen im Prachtkleid, 18.04.2019, Flugfeld Staaken/Berlin.
Singendes Steinschmätzer-Männchen im Prachtkleid, 18.04.2019, Flugfeld Staaken/Berlin.

Im Brutrevier existieren immer mehrerer solcher Plätze, an denen die Vögel nicht nur nach Feinden, sondern auch nach potentieller Beute Ausschau halten. Diese Sitzwarten werden außerdem immer aufgesucht, bevor sich die Altvögel dem Nest nähern, um die Jungen zu füttern. Steinschmätzer fliegen das Nest nie direkt an. Hat sich ein Pärchen gefunden, geht es an den Nestbau, um den sich in der Regel die Weibchen kümmern. Zwar hab ich ab und an auch mal Männchen beim Sammeln von Nistmaterial beobachten können, aber so richtig bei der Sache waren sie nicht. Die mickrigen Hälmchen, die sie zum Nest brachten, wurden vom Weibchen regelmäßig für nicht gut genug befunden. Na jut. Als Bewohner von offenen, lückig bewachsenen, steinigen oder felsigen Landschaften nutzen Steinschmätzer natürliche Höhlen oder Nischen für den Nestbau. Schutthalden, große Steinhaufen oder marode Mauern werden ebenfalls angenommen, wenn das Drumherum stimmt. Und beim Drumherum kommt es vor allem darauf an, dass es jede Menge Insekten und anderes Kleingetier gibt sowie Freiflächen, auf denen die Vögel jagen können. Steinschmätzer fressen alles, was in ihren Schnabel passt - von Bienen und Hummeln über Schmetterlinge und ihren Raupen, Käfern, Spinnen bis hin zu Libellen und Regenwürmern. Sie jagen sowohl in der Luft ganz nach Fliegenschnäppermanier, als auch hüpfend am Boden.

Sitzwarten sind ein absolutes Muss in einem Steinschmätzer-Revier, 29.05.2020, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Sitzwarten sind ein absolutes Muss in einem Steinschmätzer-Revier, 29.05.2020, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Der Nestbau ist in der Regel Sache des Weibchens, 22.04.2019, Flugfeld Staaken/Berlin.
Der Nestbau ist in der Regel Sache des Weibchens, 22.04.2019, Flugfeld Staaken/Berlin.

Neben Halmen und Stöckchen werden auch Moose und Tierhaare für den Nestbau verwendet, 22.04.2019, Flugfeld Staaken/Berlin.
Neben Halmen und Stöckchen werden auch Moose und Tierhaare für den Nestbau verwendet, 22.04.2019, Flugfeld Staaken/Berlin.
Manche "Stöckchen" werden zum Problem, weil sie nicht in die Öffnung zum Nest passen, 12.04.2024, Hahneberg/Berlin.
Manche "Stöckchen" werden zum Problem, weil sie nicht in die Öffnung zum Nest passen, 12.04.2024, Hahneberg/Berlin.

Sind die Jungen geschlüpft, werden sie von beiden Elternvögeln gefüttert. Unermüdlich suchen die Altvögel nach Futter und stopfen die hungrigen Schnäbel. Das gilt auch für ungefähr zwei Wochen, nachdem die Jungvögel das Nest verlassen haben. Dann sitzen sie mehr oder weniger verteilt in der Nähe des Nestes und betteln lauthals die Altvögel an. Nach und nach erweitert sich der Radius bis sie sich selbst auf Beutefang begeben. Steinschmätzer brüten grundsätzlich einmal im Jahr. Eine Zweitbrut ist die Ausnahme, kommt aber vor. Von Menschen und Hunden fühlen sich Steinschmätzer sehr schnell gestört. Gegen Maschinen-, Bau- oder Straßenlärm hingegen scheinen sie nichts einzuwenden zu haben, denn ich kenne einige Brutpaare, die regelmäßig in der unmittelbaren Nähe von lauten Maschinen brüten.

Die Fütterung der Jungvögel obliegt beiden Altvögeln, 28.05.2016, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Die Fütterung der Jungvögel obliegt beiden Altvögeln, 28.05.2016, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Vor dem Anfliegen des Nestes wird von einer Sitzwarte aus geprüft, ob die Luft rein ist, 27.05.2017, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Vor dem Anfliegen des Nestes wird von einer Sitzwarte aus geprüft, ob die Luft rein ist, 27.05.2017, Flugfeld Staaken/Brandenburg.

Die Jungvögel werden nach Verlassen des Nestes noch gut zwei Wochen von den Altvögeln gefüttert, 26.05.2021, Hahneberg/Berlin.
Die Jungvögel werden nach Verlassen des Nestes noch gut zwei Wochen von den Altvögeln gefüttert, 26.05.2021, Hahneberg/Berlin.
Anfangs halten sie sich zusammen in der Nähe des Nestes auf, 26.05.2021, Hahneberg/Berlin.
Anfangs halten sie sich zusammen in der Nähe des Nestes auf, 26.05.2021, Hahneberg/Berlin.

Jungvogel am Nesteingang in einer Mauernische, 18.06.2017, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Jungvogel am Nesteingang in einer Mauernische, 18.06.2017, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Jungvogel in der Nähe des Nestes, 18.06.2017, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Jungvogel in der Nähe des Nestes, 18.06.2017, Flugfeld Staaken/Brandenburg.

Steinschmätzer-Jungvogel, 13.06.2016, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschmätzer-Jungvogel, 13.06.2016, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschätzer-Jungvogel, 19.06.2016, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Steinschätzer-Jungvogel, 19.06.2016, Flugfeld Staaken/Brandenburg.

Nach der Jungenaufzucht wechseln die erwachsenen Steinschmätzer im Spätsommer bzw. Herbst in das sogenannte Schlichtkleid und gleichen sich den nunmehr selbständigen Jungvögeln im Aussehen ziemlich an. Wenn sie sich auf den Weg in die Winterquartiere machen, tragen Steinschmätzer ein grau-braunes, unscheinbares Federkleid. In den Zugzeiten kann man Steinschmätzer-Trupps zum Beispiel auf Feldern oder auch an der Ostseeküste beobachten, wo sie hüpfend auf Nahrungssuche sind. Steinschmätzer sind übrigens auf der gesamten Nordhalbkugel verbreitet. Es gibt mehrere Unterarten. Erwähnt werden muss, dass die Flugleistungen von Steinschmätzern einfach phantastisch sind. Denn alle Steinschmätzer haben ihr Winterquartier südlich der Sahara. Auch jene aus Alaska oder Kanada. Da kommen im Jahr locker um die 30.000 Kilometer zusammen, einmal hin und einmal zurück. Wahnsinn.

Steinschmätzer-Jungvogel beim Wechsel ins Jugendkleid, 16.07.2017, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschmätzer-Jungvogel beim Wechsel ins Jugendkleid, 16.07.2017, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschmätzer-Jungvogel im fertigen Jugendkleid, 31.07.2021, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Steinschmätzer-Jungvogel im fertigen Jugendkleid, 31.07.2021, Flugfeld Staaken/Brandenburg.

Steinschmätzer-Männchen in der Mauser - dem Wechsel ins Schlichtkleid, 26.07.2016, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschmätzer-Männchen in der Mauser - dem Wechsel ins Schlichtkleid, 26.07.2016, Flugfeld Staaken/Berlin.
Steinschmätzer-Männchen am Beginn der Mauser, 20.07.2019, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Steinschmätzer-Männchen am Beginn der Mauser, 20.07.2019, Flugfeld Staaken/Brandenburg.

Seit 2015 habe ich viele wunderbare Stunden bei den Steinschmätzern verbracht. Ich sah sie balzen, brüten, konnte die Jungvögel und die fürsorglichen Altvögel beobachten und habe eine Menge über die Vögel gelernt. Ich war wehmütig, wenn sie im Herbst verschwanden und freute mich ungemein, wenn ich im darauffolgenden Frühjahr den ersten zurückgekehrten Steinschmätzer entdeckte. Aber ich musste über die Jahre leider mit ansehen, wie sich die Zahl der Brutpaare kontinuierlich verringerte.

Steinschmätzer-Männchen, 06.05.2018, Flugfeld Staaken/Brandenburg.
Steinschmätzer-Männchen, 06.05.2018, Flugfeld Staaken/Brandenburg.

Insbesondere auf dem ehemaligen Flugfeld Staaken, wo ich in den ersten Jahren 6 bis 8 Brutpaare beobachten konnte, wurden es im weniger. Das Gebiet ist inzwischen zum Hundeauslaufgebiet und Eldorado für Querfeldein-Radfahrer mutiert. Mitten im Gelände wird Party einschließlich Lagerfeuer gemacht. Keine Ecke des Geländes ist vor Hunden und/oder Menschen sicher. Die dortigen Steinschmätzer-Reviere werden allesamt inzwischen nicht mehr besetzt. Jahrelang habe ich die zuständigen Berliner Behörden über die Brutvorkommen des Steinschmätzers (und anderer seltener Vögel) und die Situation auf dem Flugfeld informiert - getan hat sich nichts und das obwohl der Steinschmätzer zu den besonders geschützten Arten gehört. Auf der Brandenburger Seite des Flugfeldes sieht es nicht besser aus. Auf dem Gelände einer Abbruchfirma (traditionelles Brutgebiet mehrerer Steinschmätzer-Paare) werden Schutthügel abgetragen und umgeschichtet ohne Rücksicht auf die seltenen Vögel. Und auch aus Brandenburg gab es für mich keine erkennbaren Maßnahmen für den Schutz der Steinschmätzer (das gilt gleichermaßen für das Brutvorkommen der Uferschwalben). 2023 und 2024 habe ich im gesamten Gelände nur noch drei Brutpaare angetroffen. Das ist bitter und das Nichtstun der zuständigen Stellen ist für mich eine schmerzliche Erfahrung. Außerdem habe ich seit 2015 alle Vogelarten im Gebiet unter ornitho.de gemeldet - selbstverständlich auch die Steinschmätzer. Meine Hoffnung, dass die dort eingegebenen Daten zum Beispiel von Behörden ausgewertet und zum Schutz der Vögel verwendet werden, hat sich ebenfalls nicht erfüllt, was mich dazu bewogen hat, die Eingaben in 2023 einzustellen. Wenn die Entwicklung auf dem ehemaligen Flugfeld Staaken so weitergeht, wird der Anblick eines Steinschmätzer-Männchens auf seiner Sitzwarte im Revier bald der Vergangenheit angehören.