Die Singdrossel (Turdus philomelos) gehört zu jenen Vögeln, die mit ihrem Gesang zur typischen Geräuschkulisse unserer Frühlingsmonate beiträgt. Selbstbewusst sitzt der Vogel auf der Spitze eines Baumes oder einem exponierten Ast, einem Laternenmast oder dem Dach eines Hauses und schmettert sein Lied, wobei jeder Ton zwei bis vier Mal wiederholt wird. Manchmal ahmt die Singdrossel zusätzlich sehr gekonnt die Laute anderer Vögel nach und lässt diese in ihren Gesang einfließen. Es soll Singdrossel-Männchen geben, die bis zu 100 verschiedene Töne draufhaben. Manchmal klingen die Laute eher gesprochen als gesungen, aber immer sind sie weithin hörbar. Singdrosseln singen laut und ausdauernd. Beides spiegelt sich sowohl in ihrem deutschen Namen "Singdrossel" als auch im lateinischen Artnamen "philomelos" wieder, denn das bedeutet "Freund des Liedes". Gäbe es keine Singdrosseln mehr, wäre unser Frühling um ein Vielfaches leiser. Mit maximal 22 Zentimetern Körperlänge ist die Singdrossel weder die größte noch die kleinste unserer Drosseln und aufgrund ihres Gesanges relativ leicht zu bestimmen. Der Rücken der Singdrossel ist braun, der Schwanz kurz. Der Vogel wirkt zierlich, sitzend manchmal etwas rundlich. Die Vorderseite des Rumpfes ist gelblich-beige und weist kräftige dunkle Flecken auf, die einem auf dem Kopf stehenden Herz ähneln. Bauch und Kehle sind fast weiß. Männchen und Weibchen sehen gleich aus.
Die Singdrossel gehört zusammen mit der Amsel (Turdus merula) zu den häufigsten Drosseln in Deutschland. Ihr Gesang erschallt ab März in Feld und Flur, in Wäldern und Parkanlagen, auf Friedhöfen oder in Gärten, denn dann ist sie aus ihren Überwinterungsgebieten in West- und Südeuropa oder Nordafrika zurückgekehrt und widmet sich der Partnersuche sowie dem Brutgeschäft. Ab September macht sich die Singdrossel auf den Weg in ihre Überwinterungsgebiete. Meine früheste Singdrossel-Sichtung hatte ich übrigens Anfang Februar, meine späteste Mitte Oktober.
In einem Singdrossel-Lebensraum sind Gehölze für den Nestbau und Flächen, auf denen sie am Boden mit einigermaßen Deckung auf Nahrungssuche gehen kann, unerlässlich. Das Nest wird gern in Nadelgehölzen oder in Echtem Efeu gebaut, da die Zweige bzw. immergrünen Blätter des Efeus einen hervorragenden Sicht- und Witterungsschutz abgeben. Ist beides nicht vorhanden, wird in dichtem Geäst oder Gesträuch gebrütet. Hauptsache, das Nest ist gut getarnt und vor schlechtem Wetter sowie Sonne und Fressfeinden geschützt. Ich finde, dass Singdrosselnester ziemlich imposante, äußerlich unordentlich wirkende Bauten sind, für die Zweige, Gräser und Moose die Grundlage bilden. Am Ende erhält das Nest eine stabile Mulde aus Holzmulm, die im Gegensatz zum äußeren Drumherum sehr akkurat aussieht. In das Nest werden 4 bis 6 himmelblaue, extrem hübsche Eier mit kleinen, dunklen Flecken gelegt. Wenn die Sommer genug Nahrung bieten, kann es durchaus eine zweite Brut geben. In Hitzejahren jedoch dürfte eine zweite Brut kaum gelingen, denn die Hauptnahrung der Singdrosseln während der Brutzeit stellen Schnecken und Regenwürmer dar. Und Schnecken und Regenwürmer sind in Hitzesommern Mangelware, da für beide Lebewesen Feuchtigkeit zwingend notwendig ist. Wenn Singdrosseln die Schnäbel ihres Nachwuchses füllen müssen, kann man sie gut bei der Nahrungssuche auf Wiesen, Wegen, Rasenflächen in Gärten und unter Gehölzen beobachten.
Der Singdrossel-Nachwuchs verlässt wie der Amsel-Nachwuchs noch nicht flügge das Nest und wird außerhalb des Nestes noch eine Weile von den Altvögeln betreut. Die Jungvögel sitzen meist etwas verstreut im Unterholz oder auf Baumästen, manchmal auch im Gras und verraten sich durch ihre lautstarke Bettelei, wenn die Altvögel in ihrer Nähe auftauchen. Nach und nach begleiten sie die Altvögel, wobei sie bereits selbst nach Regenwürmern und Schnecken suchen, aber ab und zu noch von den Altvögeln gefüttert werden, bis sie schließlich vollkommen selbständig sind.
Übrigens: Dass Singdrosseln in einem Gebiet aktiv sind, erkennt man nicht nur an ihrem tollen Gesang, sondern auch an der sogenannten Drosselschmiede: Das ist ein flacher Stein, auf dem die Drosseln Schneckenhäuser zerschlagen, um an die eigentliche Schnecke zu kommen. Wer also einen Stein findet, der mit vielen kaputten Schneckenhäusern dekoriert ist, kann sich der Anwesenheit einer Singdrossel sicher sein.
Außerhalb der Brutzeit fressen Singdrosseln übrigens auch Sämereien und Beeren. Inbesondere in den Vogelzugzeiten greifen Singdrosseln auf Beeren wie der Traubenkirsche oder des Echten Efeus zurück. Wenn sie aus ihren Überwinterungsgebieten zurückkehren, sind sie anfangs oft mit Rotdrosseln (Turdus iliacus) vergesellschaft und machen sich gemeinsam mit diesen über die vorjährigen Beeren des Echten Efeus her. An sehr heißen Sommertagen kann man außerdem dann und wann auf Singdrosseln treffen, die regungslos mit abgespreizten Flügeln in der Sonne liegen. Wie viele andere Singvögel nutzt die Singdrossel die Hitze, um sich von Parasiten zu befreien, die sie nach dem Sonnenbad leichter aus dem Gefieder putzen kann. Beim Baden in einer Pfütze hab ich sie hingegen noch nie gesehen.