Gestatten, das ist der erste Laubfrosch meines Lebens. Leuchtend grün und ziemlich rund saß er mitten auf einer Straße und war auf dem grauen Beton nicht zu übersehen. Angesichts eines Frosches auf einer Straße wurde meine Tochter augenblicklich von ihrem Beschützerinstinkt gepackt und schwuppdiwupp verschwand der Laubfrosch zunächst in ihrer Hand und anschließend im Gras am Straßenrand. Im Grün der Blätter und Halme fiel er kaum auf und befand sich in Sicherheit.
Ein Laubfrosch. Vor meinen Augen. Wow! Welch freudiges Erlebnis! Gesagt sei, das das kleine grüne Tierchen richtiger Weise "Europäischer Laubfrosch" (Hyla arborea) heißt. Natürlich kannte ich Laubfrösche aus dem Fernsehen. Das schon. Aber in freier Wildbahn hatte ich noch nie einen gesehen. Wenn ich auf Rügen weilte, konnte ich sie im Frühjahr stets hören, doch meine morgendliche Suche an den Orten der Froschkonzerte verliefen allesamt erfolglos. Und das jahrelang. Dabei müssen es der Geräuschkulisse nach zu urteilen unheimlich viele gewesen sein. Die weithin zu hörenden Balzrufe begannen in der Dämmerung und verklangen in lauen Frühlingsnächten erst am nächsten Morgen. Dass es sich um die Balzrufe von Laubfröschen handelt, wusste ich aus einem Dokumentarfilm über das Havelland, in welchem die kleinen, grünen Frösche eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Erstaunt war ich allerdings über die Lautstärke - wenn man bedenkt, wie klein Laubfrösche sind. Die kleinsten unter den europäischen Lurchen verfügen über die lauteste Stimme, habe ich gelesen. Alle Achtung.
Mein zweites Laubfroscherlebnis winkte mir ebenfalls auf Rügen. Allerdings im Herbst. In jenem Herbst vernahm ich auf meinen Wanderungen immer mal wieder seltsame, krächzende Rufe. Irgendwie wie Krähe, aber irgendwie auch nicht. Eichelhäher vielleicht? Hm. Mal nur von einem Tier, mal von mehreren. Für mich war klar, dass diese Laute nur von einem Vogel stammen können, denn die Rufe erklangen stets aus den Bäumen. Aber - so sehr ich auch Ausschau hielt - ich sah keinen Vogel, der passende Geräusche von sich gab. Meine Tochter klärte mich schließlich auf. Die seltsamen Geräusche stammten von Laubfröschen. Darauf wäre ich nie im Leben gekommen. Bei der Gelegenheit lernte ich außerdem, dass Laubfrösche im Herbst vorzugsweise auf Bäume klettern und ihre Farbe wechseln. Von quietschgrün auf braun. Was unheimlich schlau ist, denn mit dieser Färbung sind sie im Herbst, wenn alles so gut wie braun ist, für ihre Feinde unsichtbar. Da wäre das Grün, welches ihnen im Frühling größtmögliche Tarnung gewährt, absolut fehl am Platze. Der Laubfrosch ist also nicht nur laut, sondern auch noch ein perfekter Kletterer, vor dem weder Schilfhalme noch Bäume sicher sind.
Seit meinem ersten Laubfrosch sind nun schon einige Jahre ins Land gegangen und ich habe im Frühling sowohl auf Rügen als auch auf dem Darß immer mal wieder welche gefunden. Auf Rügen regelmäßig am Mai und immer an der gleichen Stelle - in einem Hartriegelbusch neben dem Löschteich in meinem Urlaubsort.
Obwohl der Laubfrosch mit ca. 800 Arten zu einer der artenreichsten Amphibiengruppen auf der Erde zählt, gibt es bei uns mit dem Europäischen Laubfrosch nur eine einzige. Wie alle Amphibien, deren Lebenszyklus interessanter Weise den Schritt des Lebens vom Wasser an Land widerspiegelt, benötigt der verschiedene Biotope, um als Art fortbestehen zu können. Während Paarung und Fortpflanzung sowie Entwicklung der Lurche (zuerst mit Kiemen versehen, dann mit Lungen) im Wasser erfolgen, bestreiten sie ihr weiteres Leben an Land. Neben fischfreien Kleingewässern brauchen sie beispielsweise auch Feuchtwiesen und Feldgehölze oder Auen mit blütenreichen Staudensäumen. Europäische Laubfrösche können nur dort leben, wo viele verschiedene Pflanzen gedeihen, denn ihre Nahrungsquelle stellen Insekten dar. Die Landschaften, in denen Laubfrösche leben, müssen kleinteilig und vielfältig strukturiert sein und damit wird auch schon das Hauptproblem deutlich, denn solche Landschaften sind selten geworden in Deutschland. Hinzu kommt, dass vor allem Vögel den durchschnittlich 3 bis 4 cm kleinen Gesellen zum Fressen gern haben: Neuntöter und Waldkauz haben ihn ebenso auf ihrer Speisekarte wie Graureiher oder Lachmöwen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Laubfrosch Dauergast auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten in Deutschland ist. Mancherorts, zum Beispiel in Bremen und Berlin, gilt er sogar schon als ausgestorben. Doch insbesondere in den östlichen Bundesländern wie Mecklenburg-Vorpommern oder Brandenburg lohnt es sich allemal, Ausschau nach diesem kleinen Hüpfer zu halten, denn dort kommt er vielerorts noch vor.