In jedem Winter um die Weihnachtsfeiertage herum erscheint in einem Gebiet mit mistelbestandenen, alten Pappeln eine Misteldrossel (Turdus viscivorus). Da ich Misteldrosseln bei uns in Staaken nicht allzu häufig zu sehen bekomme, zieht es mich in dieser Zeit immer wieder dort hin. Bis Ende Januar/Mitte Februar bleibt die Misteldrossel in diesem Gebiet und ich nutze die Zeit, um den Vogel zu beobachten und Fotos zu machen. Irgendwann ist sie dann einfach weg und deshalb nehme ich an, dass es sich nicht um einen heimischen Vogel handelt, sondern um einen Wintergast aus nördlichen Gefilden. Und natürlich habe ich keine Ahnung, ob es in jedem Jahr die gleiche Misteldrossel ist oder nicht. In der Regel besuche ich den bemistelten Pappelhain morgens für ungefähr zwei Stunden, am Nachmittag nur ab und zu. Der morgendliche Alltag der Misteldrossel geht so: Erst einmal hoch oben im Geäst in der Morgensonne aufwärmen und den Mistelbusch fürs Frühstück ausspähen. Anschließend fliegt sie auf den Baum, der den auserwählten Mistelbusch trägt, schaut sich aufmerksam um und dann gehts los mit dem Frühstück, nämlich den Beeren der Weißbeerigen Mistel (Viscum album) - der Hauptnahrung einer Misteldrossel im Winter.
Trägt die ausgewählte Mistel rundum Beeren, setzt sich der Vogel meist oben rauf, um zu fressen. Sind die Beeren an den Außenseiten vertilgt, kann die Misteldrossel aber auch völlig in der Mistel verschwinden, um an die inneren Beeren zu gelangen. In den Mistelbüschen entpuppt sich die recht große Drossel als sehr geschickt im Klettern. Nach dem Mahl sitzt sie hoch oben im Geäst, und zwar so lange, bis eine Perlenkette aus halbverdauten Mistelbeeren und klebrigem Schleim ihren Körper verlässt (siehe Foto). Bis der wohl schönste Kot unserer Vogelwelt von der Drossel abfällt, kann es durchaus einige Minuten dauern und mit ein wenig Glück landet die Perlenkette mit den Samen auf einem der Pappeläste oder einer anderen Mistel, wo eine neue Weißbeerige Mistel heranwachsen wird. Auf diese Weise betätigt sich der Vogel als Mistelgärtner und sorgt selbst für seine Winternahrung. Zwischendurch wird übrigens jeder verjagt, der sich in ihrer Nähe niederlässt. Egal, ob Kernbeißer, Kohlmeise, Wacholderdrossel oder Eichhörnchen - auf den von einer Misteldrossel auserkorenen Nahrungsbäumen hat kein anderer etwas zu suchen. Ist die Sache mit der Perlenkette erledigt, fliegt sie erneut in die Mistel. Und so geht es abwechselnd immer weiter: Baum, Perlenkette, Baum, Perlenkette ... Zwischendurch gönnt sich die Misteldrossel auch mal eine Ruhephase oder fliegt ins Unterholz, um Sämereien aufzupicken. Hört sich ganz entspannt an, ist es aber nicht. Denn da gibt es in diesem Jahr die Sache mit diesem penetranten, frechen Eichelhäher.
Sobald sich die Misteldrossel auf einer bestimmten Pappel niederlässt, taucht der nämlich auf und tut so, als sei er ganz zufällig da. Schaut mal hierhin und mal dorthin, hüpft von Zweig zu Zweig, gibt ein paar unverfängliche Eichelhäherlaute von sich und mimt die Unschuld in Person. Tatsächlich rückt er der Drossel dabei immer näher auf die Federn. Die wiederum beäugt das scheinheilige Getue des Eichelhähers misstrauisch und geht ganz nach Misteldrosselart ziemlich schnell auf ihn los. Dabei lässt sie ein lautes sonores Schnarren hören - das typische Geräusch dieser Drosselart. Für einen Moment zieht sich der Eichelhäher dann schimpfend auf einen Nachbarbaum zurück, nur um kurz darauf wieder neben der Misteldrossel aufzutauchen. Dieses Spiel hat sich teilweise eine halbe Stunde lang wiederholt und ich konnte mitansehen, wie der Eichelhäher angesichts der Sturheit und des Mutes der Misteldrossel regelrecht wütend wird. Am Ende greift er die Misteldrossel direkt an. Das heißt, er stürzt laut schreiend vom Nachbarbaum aus auf die Misteldrossel zu und versucht, sie mit den Krallen voran zu verjagen - fast wie ein Greifvogel, der seine Beute packen will. Aber auch das erweist sich als erfolgloses Unterfangen, denn die Misteldrossel denkt nicht daran, das Weite zu suchen und stellt sich dem Angreifer entschlossen entgegen. Am Ende sitzt die Misteldrossel weiter auf ihrem Ast in der Sonne, der Eichelhäher gibt auf und kehrt erst zur Pappel zurück, wenn sich die Misteldrossel verzogen hat. Wie schon geschrieben, findet der Streit zwischen den Vögeln immer nur dann statt, wenn die Misteldrossel einen bestimmten Baum aufsucht. Was den Eichelhäher dazu veranlasst, die Misteldrossel auf diesem einen Baum zu stalken, habe ich leider nicht herausgefunden. Aber was nicht ist, kann ja noch werden, denn das Schauspiel wiederholt sich nahezu täglich ...
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