2017 hatte ich zum ersten Mal ein Schwanzmeisen-Nest entdeckt und zwei Blogartikel darüber verfasst (siehe Links am Ende der Seite). Mit der Entdeckung dieses Nestes ging für mich ein lang gehegter Wunsch in Erfüllung und es war eines meiner schönsten und faszinierendsten Naturerlebnisse, der Entstehung dieses Wunderwerks beiwohnen zu dürfen. Allerdings auch tief berührend, denn die Geschichte ging für die Vögel und ihr Nest nicht gut aus. Seither habe ich immer wieder Schwanzmeisen-Nester gesichtet. Scheint so, als hätte ich irgendwie einen Blick für Schwanzmeisen-Nester bekommen ... Mal brüteten die Vögel erfolgreich, mal nicht. Erfolgreich waren übrigens nur jene Vögel, die ihr Nest im Geäst von Nadelbäumen errichtet hatten. Nester, die in Birken oder anderen Laubbäumen gebaut worden waren, wurden allesamt Opfer von Eichelhäher und Co., kaum dass die Brut begonnen hatte. Daher hatte ich bisher nicht das Glück, die Geschichte eines Schwanzmeisen-Pärchens vom Nestbau bis zum Ausflug der Jungvögel zu erleben. Bisher wohlbemerkt. Denn 2021 gibt es eine neue Schwanzmeisen-Nest-Geschichte, die schon ziemlich weit gediehen ist und Chancen hat, ein gutes Ende zu nehmen. Und die geht so: Am 21. Februar 2021 trieb ich mich morgens auf einem kleinen Friedhof herum, den ich wegen seines Vogelreichtums gern aufsuche. Und wie ich da so auf einer Bank sitze und darauf warte, dass eine Singdrossel vielleicht noch ein Stückchen näher kommt und sich fotografieren lässt, höre ich das typische, sirrende Piepsen einer Schwanzmeise. Schwanzmeisenpiepsen im Frühjahr lässt mich immer aufmerksam Ausschau halten, denn es könnte ja sein, dass es sich um ein Brutpaar handelt. Und richtig. Ein paar Meter entfernt auf den Zweigen einer alten Fichte saß eine Schwanzmeise mit Moos im Schnabel, womit offensichtlich war, dass ein Nest gebaut wird. Meine Güte, was für ein Glück! Aber wo befand sich das Nest? Ich blieb erst einmal ruhig sitzen und wartete ab.
Einen Moment später flog der Vogel mit dem Moos auf die benachbarte Fichte und verschwand zwischen den herabhängenden Zweigen eines Hauptastes in ungefähr 4 Metern Höhe. Was für eine Tarnung! Und was für ein Bauvorhaben! Wenn man weiß, dass ein Schwanzmeisen-Nest von unten nach oben gebaut wird, erfordert es außerordentliches Geschick, das Nest mit den Zweigen zu verbinden und sicher zu verankern. Ob die Vögel erst mit dem Nestbau begonnen hatten oder schon weiter waren, das konnte ich wegen der grandiosen Tarnung nicht erkennen. Außerdem blieb ich auf reichlich Abstand, um die Vögel nicht zu stören. Der Bau des kunstvollen ovalen Nestes mit der seitlichen Ein- bzw. Ausflugöffnung dauert ungefähr einen Monat. Zumindest dann, wenn die Vögel so früh beginnen, wie diese beiden auf meinen Fotos. Sie können sich mit dem Nestbau länger Zeit lassen als jene, die im fortgeschrittenen Frühjahr damit beginnen. Tausende Male müssen die Vögel losfliegen, um Moose, Birkenrinde, Flechten, trockene Grashalme, Spinnweben oder die Fäden von Insektenkokons zu sammeln, die akribisch miteinander verwoben werden. Zum Abschluss wird die Nestinnenwand mit einer Tapete aus bis zu 2000!!! kleinen Federn ausgekleidet. Bei den Schwanzmeisen-Nestern, die ich bisher gefunden habe, war es außerdem so, dass die äußere Farbgebung immer der Umgebung angepasst wurde: In einer Robinie war die Grundfarbe grünlich-braun, in einer Birke weiß-grau-grünlich. Für alle, die noch nie das Glück hatten, dieses wundervolle Kunstwerk zu entdecken, zeige ich unten ein Foto von einem Nest in einer Birke, auf dem es in voller Schönheit bestaunt werden kann. Aber nun zurück zum aktuellen Schwanzmeisen-Pärchen, das ich an diesem Februartag solange beobachtet habe, bis sich der Friedhof mit Menschen zu füllen begann.
21.02.2021 - Männchen und Weibchen beim Nestbau.
Das Männchen
Das Weibchen
An alle, die sich jetzt fragen, wie ich das Männchen vom Weibchen unterscheiden konnte: Das verrate ich weiter unten. Am 21.02.2021 habe ich es noch nicht gewusst. An diesem Tag war ich einfach nur voller Freude und glücklich. Und gespannt, wie es weitergeht. Von jetzt an waren meine Gedanken jeden Tag beim Schwanzmeisen-Pärchen und immer, wenn mich mein Weg am Friedhof vorbeiführte, warf ich aus der Ferne einen Blick auf den Ast mit dem Nest. War alles in Ordnung? War das Nest noch unversehrt? Ab und zu saß ich auf meiner Bank, um die Vögel zu beobachten und Fotos zu machen. Gesagt sei, dass man bei der Beobachtung nestbauender oder brütender Vögel äußerste Vorsicht walten lassen und gebührend Abstand halten muss. Nicht nur, damit die Vögel sich nicht gestört fühlen, weil das zur Aufgabe der Brut führen kann. Sondern auch und vor allem, damit Rabenvögel, Eichhörnchen und andere Nesträuber nicht auf den Brutplatz aufmerksam werden. Sobald Rabenvögel oder Eichhörnchen in Ihrer Nähe auftauchen, sollten Sie Ihren Standort sofort verlassen und keinen einzigen Blick mehr auf den Brutplatz richten. Und auch, wenn die Aussicht auf ein tolles Foto noch so verlockend ist - lassen Sie die Kamera unten und gehen Sie auf möglichst großen Abstand, ohne das Nest eines Blickes zu würdigen. Insbesondere Rabenvögel verfügen über eine hervorragende Beobachtungsgabe und registrieren sofort, dass Sie einem bestimmten Punkt besondere Aufmerksamkeit schenken. Schon allein die Neugier bringt Rabenvögel dazu, genau dort nachzusehen, wo Sie zuvor hingeschaut haben und dann ist es um die Eier oder Jungvögel geschehen. Sollten die Vögel zu erkennen geben, dass Sie sich durch Ihre Anwesenheit gestört fühlen (z.B. durch Warnrufe oder abwartendes Verhalten), müssen Sie sich ebenfalls sofort entfernen. Sie riskieren sonst die Aufgabe des Nistplatzes bzw. der Brut.
08.03.2021 - Das Nest macht Fortschritte.
Am 08. März 2021 war das Nest so weit gediehen, dass es bereits über ein Einflugloch verfügte. Männchen und Weibchen holten unablässig Nistmaterial herbei und verschwanden damit im Nest. Offensichtlich ging es bereits um den Innenausbau. Dabei drücken die Vögel auch von innen an die Nestwände, um das Nest zu dehnen und das Nistmaterial zu verfestigen.
Es wird fleißig gebaut.
Unablässig fliegen die Vögel ein und aus.
14.04.2021 - Es wird gebrütet.
Leider hatte ich bis Mitte April kaum Zeit, das Schwanzmeisen-Pärchen zu besuchen. Erst am frühen Morgen des 14.04.2021 nahm ich auf meiner Bank Platz und sah mit großer Freude, dass das Weibchen im Nest vom Männchen gefüttert wurde, und zwar vorzugsweise mit dicken Raupen. Die Brut hatte also begonnen. Wie schön! Ich freute mich wie Bolle. An diesem Tag beantwortete sich die Frage, welcher Vogel weiblich und welcher männlich ist. Da ausschließlich die Schwanzmeisen-Weibchen das Gelege bebrüten, konnte es sich beim fütternden Vogel nur um das Männchen handeln. Das Männchen wurde von mir übrigens als Phänotyp EC eingeordnet. Das Weibchen hingegen als Phänotyp CE. Das für alle, die sich insbesondere für die Einordnung der Schwanzmeisen in die vier Phänotypen interessieren. Weitere Informationen über eben diese Phänotypen finden Sie auf meiner Schwanzmeisen-Seite (siehe Link am Ende dieses Textes).
Das Männchen schafft Futter heran.
Hoch im Kurs stehen dicke Raupen.
02.05.2021 - Die Jungen sind geschlüpft.
Als ich am 02.05.2021 wie immer in großem Bogen auf meine Bank schlich, fiel mir sofort auf, dass sich beide Vögel außerhalb des Nestes aufhielten. Das Weibchen mit seinem von der Brut verbogenen Schwanz und dem Brutfleck am Bauch flog gerade das Nest an und hatte Futter im Schnabel. Wow! Das hieß, dass der Nachwuchs geschlüpft war. Was habe ich mich gefreut! Es war so ein wunderbares Gefühl, endlich eine bis dahin erfolgreiche Schwanzmeisen-Brut miterleben zu dürfen. Unter ständiger, sehr wachsamer Beobachtung der Umgebung flogen die Altvögel unablässig das Nest an, um die Jungen zu versorgen oder Kot aus dem Nest fortzutragen. Anders als die dicken Raupen, die das Männchen während der Brut an das Weibchen verfüttert hatte, war die Nahrung für den Nachwuchs in den Schnäbeln der Elterntiere kaum zu erkennen - wahrscheinlich winzige Spinnnen, Fliegen, Blattläuse und anderes ähnlich kleines Getier. Unbeschreiblich glücklich machte ich ein paar Fotos und ließ die Schwanzmeisen allein.
Winzige Schnäbel zeigen sich im Einflugloch.
Sooo. Das soll es erst einmal gewesen sein. Natürlich hoffe ich ganz doll, dass ich noch einen Blick auf die Jungvögel erhaschen kann, wenn sie das Nest verlassen haben. In einem Vogelbuch aus dem Jahre 1935 habe ich übrigens folgendes gelesen: "... Den Jungen geht es ebenso. Je mehr sie wachsen, desto enger wird es im Nest, das sich zu dehnen beginnt und schließlich platzt. Dann schauen nach allen Seiten die langen Schwänze der Kleinen aus der Wandung der Kinderstube heraus, was sehr drollig aussieht." (Das kleine Buch der Vögel und Nester, Heinz Graupner und Fritz Kredel, Seite 44, weitere Angaben siehe Literaturnachweis unter "Nicht geteert, aber gefedert"). DAS würde ich selbstverständlich sehr gerne mal sehen, aber bei dem zwischen den Fichtenzweigen versteckten Nest wird das wohl eher nichts. Wie dem auch sei, ich hoffe, dass die kleinen Schwanzmeisen das Nest wohlbehalten verlassen werden.
Auf dem nebenstehenden Foto ist ein fertiges Schwanzmeisen-Nest am 07.04.2020 zu sehen. Leider hat dieses Paar nicht erfolgreich gebrütet. Das Nest war innen noch nicht vollständig fertiggestellt, da wurde es bereits zerstört.
Wer noch nicht genug über die zierlichen, wunderbaren Schwanzmeisen gelesen hat, dem seien folgende meiner Seiten empfohlen:
- Schwanzmeisen (Aegithalos caudatus) - Phänotypen, Jungvögel und mehr
- Endlich gefunden - die ganze Geschichte über das Schwanzmeisen-Nest, Blogartikel vom 14.12.2017
15. Mai 2021 - das Nest ist leer.
Fünf Jungvögel haben das Nest verlassen. Dicht nebeneinander saßen sie ziemlich weit oben im dichten Geäst der Fichte. Was habe ich mich gefreut. Ich war richtig gerührt. Fast hätte ich sie gar nicht entdeckt. Aber als sich die Altvögel mit Futter näherten, haben sie sich durch ihre leisen Bettelrufe verraten. Soooo. Damit hat die Geschichte von diesem Schwanzmeisen-Nest ein gutes Ende genommen. Ich hoffe, die kleinen Schwanzmeisen meistern ihr noch junges Leben und werden wunderschöne erwachsene Schwanzmeisen.
Vogelfreundin (Dienstag, 11 Mai 2021 17:37)
Oh. Die Schwanzmeisen, die sind ja so schön, aber immer so schnell weg. Die mag ich auch. Ein toller Artikel. Danke schön.
Staakener (Dienstag, 11 Mai 2021 15:46)
Liebe Marion, ich finde das ist einer deiner besten Blogartikel. Und ich hoffe, dass die Schwanzmeisen ihre Brut groß kriegen und due die Jungvögel sehen kannst. Das was die Vögel leisten, kann man in der Tat wirklich nur bewundern. Unglaublich. Ich komm aus dem Staunen nicht mehr heraus. Ich freue mich im Winter übrigens auch immer sehr, wenn Schwanzmeisen an unseren Meisenknödeln hängen. Also. Viel Glück! Für die Schwanzmeisen vor allem und für dich.